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Eine Welt ohne Frau Weist wäre verdammt leise

JR-db-005Jennifer Rostock spielten vor ausverkauftem F-Haus in Jena

23.03.2012 [db] Es gibt Momente im Leben, in denen möchte man einfach nur schreien. Da möchte man die Hände in die Luft reißen und alle angestaute Wut, allen Hass raus lassen.  Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass mir so etwas ausgerechnet auf einem Konzert der Rostocker passieren würde. Das Leben ist voller kleiner Überraschungen und die richtige Würze verleihen die richtigen Erlebnisse – mit den richtigen Menschen, am richtigen Ort. So geschehen an einem Freitag im März im F-Haus Jena.

Mit dem aktuellen Album „Mit Haut und Haar“ sind Jennifer Rostock seit dem vergangenen Jahr auf Tour. Ihre Bühnenshow wirkt aber nicht gestresst oder ermüdet. Die Band scheint jeden Abend von Neuem wieder aufs Ganze zu gehen. Ein Fest für die Sinne. Während der Umbaupausen laufen die Greatest Hits der 1990er. Als aus den Boxen „Alright“ von East 17 dröhnt, weiß ich, dass ich hier richtig bin. Einfach herrlich. Im F-Haus ist es rappelvoll. Vor der Bühne und auf der Empore stapeln sich die Fans. Kurz nach 21 Uhr bricht sich die Naturgewalt Rostock ihre Bahn. Der Saal wird bis zum Ende des Konzerts nicht aufhören zu zappeln.

Jennifer Weist ist eine Entertainerin par excellence. Das macht den rauen Charme dieser Band aus. Sie findet immer die richtigen und – vor allem – lauten Worte, um den Abend zum Siedepunkt zu führen. Ob sie nun manifestiert, dass sie Socken immer gut gebrauchen kann, als zwei Paar auf die Bühne geworfen werden. Ob sie streng ein Hausverbot androht für die Bierbecher werfenden Fans auf der Empore. Oder ob sie sehen will, wie weit das Publikum für Backstage Pässe geht. Es ist immer laut, es ist immer spritzig, haarscharf an der Indizierung vorbei und erfrischend politisch unkorrekt. Dabei kann sie sich darauf verlassen, dass ihrem Aufruf „Ich will Titten sehen!“ auch Taten folgen. Ein Backstage Pass ist für manchen eben der Eintritt ins Paradies, da kann man durchaus zeigen, was man hat – fünf Sekunden lang. Zwischen Songs, bei denen sich das Publikum im F-Haus als unglaublich textsicher erweist, gibt es flachsige Sprüche und neckische Gesten. Bei Stücken wie „Der Kapitän“, „Himalaya“, „Du willst mir an die Wäsche“, „‘Irgendwo anders“ oder „Es tut wieder weh“ wünscht man sich, der Abend würde niemals enden. Der stärkste Moment, der in dem auch ich aus mir ausbreche, kommt mit „Es tut wieder weh“ – schon beim Anspielen des Songs gehen alle Hände im Saal hoch und ein riesiger Chor singt mit: „Du tauchst in mein Leben, schürst aufs Neue die Glut und meine älteste Narbe spuckt wieder Blut“. Ich beobachte dieses Heer Menschen, die alle irgendwann einmal ein gebrochenes Herz hatten und vielleicht gerade haben – so wie ich – und sie alle schreien diese Zeilen so unglaublich befreiend heraus. Ich schließe mich ihnen an, singe mir die angestaute Wut und den Hass heraus. Der Schatten am Horizont wird kleiner. Ich bin mein eigener Kapitän. Danke, Frau Weist.

Wer bei Kopf oder Zahl mit einem Schlauchboot übers Publikum surfen will, hat am 03. April 2012 in Jena noch einmal Gelegenheit. Dann findet das Zusatzkonzert statt – noch einmal Gelegenheit, Whiskey Cola, Bier, eine Kapitänsmütze und vielleicht auch einen Backstage Pass abzustauben. Kleiner Tipp: nicht zu viele Tops übereinander ziehen, denn dann besteht die Gefahr, dass ein anderer Fan schon lange blank gezogen und den Pass gewonnen hat.

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